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MICHAEL VOGELEY

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Playground of the World

Sind die Polargebiete die Zukunft des Bergsteigens? Michael Vogeley für AlpOnline

Baffin Island 2000 – Stefan Glowacz bei der Erstbesteigung des bis dato namenlosen Polar Bear Spire. Foto: G. Heidorn

Einmal Kolumbus in der Vertikale sein! Welcher Alpinist träumt nicht davon, jungfräuliche Berge zu besteigen und nie berührte Wände zu klettern? Es ist alles so überlaufen, kein Gipfel der Alpen ist unbestiegen und keine ernstzunehmende Wand unbegangen. Dagegen sind die Gebirge in den arktischen und den antarktischen Zonen oft unberührt, manchmal nicht einmal vermessen und erforscht. Und das im 21. Jahrhundert!

Nirgends stehen so viele unbestiegene Berge wie in den Polargebieten. Es sind keine Achttausender zu erobern, aber der abenteuerorientierte Alpinist, Kletterer und Trekker wird in den Gebirgen der Arktis und Antarktis einen alpinen Garten Eden finden.

Sir Leslie Stephen schrieb vor eineinhalb Jahrhunderten sein berühmtes Buch „The Playground of Europe“. Er meinte die Alpen. Auch nach Meinung deutscher Spitzenkletterer liegt heute die Zukunft des Entdeckerbergsteigens – eine puristische Form des Alpinismus – in den Gebirgen der hohen und tiefen Breiten: der New Playground of the World. Mit herausfordernden Zielen für Generationen, gerade richtig für das anbrechende Millennium. Amerikaner, Neuseeländer, Spanier, Kanadier … machen es uns vor. Nirgends auf meinen Reisen auf sechs Kontinenten sah ich so viele unbestiegene Berge, unbegangene Wände und unberührte Landschaften. Es gibt noch viele sprichwörtliche weiße Flecken auf der alpinen Landkarte.

Dieser Beitrag soll kein Rezeptbuch sein, schon gar kein Führer. Er soll neugierig machen und Kreativität wecken. Er ist auch keine Chronik – dafür eine subjektive und unvollständige Zusammenstellung der bergsteigerischen Möglichkeiten in den obersten und untersten Regionen des Globus.

Ein Sir, acht Biere und der Watzmann

So etwas wie Ehrfurcht kommt auf, als wir nach seinem Vortrag die Gläser klingen lassen und unser Pils schlürfen. Das 30. Trekkertreffen des DAV Summit Club in Berchtesgaden ist eine beispiellose Informationsbörse mit fünf Dutzend Vorträgen. Wieder war Besonderes geboten. Erstmals plauderte hier Sir Chris Bonington mit britischem Understatement und vielen Dias über seine Expeditionen zu den Bergen der Erde.

Auch am Tisch sitzt Deutschlands erfolgreichster Achttausenderbesteiger Sigi Hupfauer, der mit dem „Sir“ vor Jahrzehnten die Eiger-Direttissima kletterte. Und Thomas Huber zeigt stolz seinen Piolet d' Or her, der ihm für die Route Shiva's Line am Nordpfeiler des Shivling für besondere alpinistische Leistungen verliehen wurde. Eine illustre Runde von Himalajaerprobten Bergsteiger-Größen, vereint um einige Biergläser.

Ich nehme Chris beiseite: „Ich komme gerade aus South Georgia, Antarktis, und bin von den bergsteigerischen Möglichkeiten fasziniert.“
Der Sir mit leuchtenden Augen: „Ja, ein großes Potential.“
Ich versuche ihn aus der Reserve zu locken: „Leslie Stephens nannte vor vielen Jahrzehnten die Alpen Playground of Europe. Sind der New Playground of the World die Polarregionen?“
Bonington nimmt einen kräftigen Schluck und wischt sich den weißen Schaum aus dem grauen Bart. „Es ist eine Menge zu tun. Ich war zweimal über dem Polarkreis. Auf Grönland, auch in der Antarktis. Besonders in Südgrönland gibt es unglaublich viel Potential für Erstbegehungen.“
Ich hake nach: „Im Kap Farvel-Gebiet?“
„Ja, in der Nähe des Eskimodorfes Augpilagtoq. Eine tolle Gegend. Wir machten elf Erstbegehungen. Sehr, sehr schöne Gipfel, bester Fels.“
Vor einigen Jahren war ich dort mit meiner Sektion Bayerland, und auch wir kletterten sieben neue Wege an unbestiegenen Wänden.
„Vom Kap Farvel an der Ostküste hinauf bis Tassilaq sind etwa 1000 Kilometer unbestiegene Gipfel, die meist keinen Namen haben“, erinnere ich.
Bonington: „Richtig. Hunderte neue Gipfel, das sieht man schon, wenn man von Island nach Grönland fliegt.“
Ich versuche zu detaillieren: „Und Baffin Island? Oder der antarktische Kontinent?“
„Oh ja, da sind viele Big Walls. In der Antarktis war ich fünfmal, und wir machten die dritte Besteigung des Mount Vinson.“

Antarktis: Das Bergsteigermekka des neuen Jahrhunderts

Die Antarktische Halbinsel ist etwa alpenlang. Der im Verhältnis zum riesigen Kontinent kleine Appendix mit seinen vorgelagerten Inseln bietet fast völliges Neuland. Sind es fünfzig oder hundert oder sogar doppelt so viele Berge, die bisher bestiegen wurden? Es spielt keine Rolle, denn die Peninsula ist ein Gebirge mit unzähligen unbekannten Bergen. Sie ist relativ gut zu erreichen.

Der neuseeländische Klassealpinist Colin Monteath ist der Meinung, dass „die Antarktis mit Sicherheit eines der wichtigsten Bergsteigermekkas des Jahrhunderts wird.“

Beispiele? Erst 1997 wurde das Horseshoe Valley in der Heritage Range vom Italiener Paolo Gardino und dem Franzosen Simon Garrod besucht. Das Ergebnis waren elf erstmals bestiegene Gipfel. Auf dem Kontinent steilen auch die kühnen Nadeln des Queen Maud Land. Am Neujahrstag 2001 erklomm unter Leitung des Franzosen Alain Hubert eine achtköpfige Expedition zum ersten Mal den 2650 Meter hohen Gipfel der Holtanna. Mit dabei der deutsche Spitzenbergsteiger Ralf Dujmovits. The Wall hieß das Projekt im siebten und achten Schwierigkeitsgrad und mit 900 Metern Wandhöhe. Es war nur eine erste Route an der gewaltigen Granit-Kathedrale, am Hohlen Zahn, über den „unglaublich steilen Nordpfeiler“. Bislang drangen erst zwei Expeditionen zu den faszinierenden Gipfeln vor. Dujmovits: „Wir sahen Bilder von überirdischer Schönheit, spitze, filigrane Felsgestalten, die wie die Reißzähne eines Wolfes aus der weißen Ewigkeit herausstehen. Ähnliche Monolithen gibt es nur im Karakorum und den USA.“

Der erfahrene Alpinist Klaus Ernstberger und ich paddeln 1998 im Kanadier durch die stürmischen Gewässer der South Shetland Inseln vor der Antarktischen Halbinsel. Mit im Boot: Pickel, Steigeisen, Seile. Beim Gedanken an die Insel Anvers Island beginnt unser Bergsteigerherz zu wummern. Der Mount Francais ist knapp 3000 Meter hoch. Eine perfekte Eisflanke setzt unmittelbar am Neumayr Channel an, mit einer Art steilem Biancograt. Die Wand schwingt sich fast drei Kilometer in den dunklen Antarktishimmel. Unbegangen. Eine der höchsten Wände der Erde: Unberührt, fast unbekannt, nie versucht!

Stefan Glowacz sagt über die exklusive Destination Antarktis: „Echte Abenteuer sterben aus. Im Handstand auf den Everest – solche Sachen sind einfach banal, platt.“ Und über die bergsteigerischen Möglichkeiten: „Da stehen sie einfach so herum, wie Sonderangebote in einem Supermarkt: Lauter unbestiegene Walkerpfeiler, Wände aus Urgestein, verführerisch wie die Erbsünde und hart wie das Finanzamt.“ Das Coole Sextett (Kurt Albert, Gerd Heidorn, Stefan Glowacz, Holger Heuber, Jürgen Knappe und „Pater“ Hans Martin Götz) klettert 1999 unweit von Anvers Island erstmals auf den kühnen Renard Tower am gleichnamigen Kap, „…dessen Felswände steil und überhängend 800 Meter in die kalte Luft ragen“. Sie taufen nach vier Tagen harter Arbeit und wegen ihrer stürmischen Anreise mit einer Segelyacht über die Drake Passage die Tour Hart am Wind. Noch können Zweitbegeher den ausgeworfenen Schwierigkeitsvorschlag – oberer achter und unterer neunter Grad – bestätigen.

Die grandiose Bergwelt von Baffin Island: Auyuittuq –– das Land, das niemals schmilzt

Unsere Zelte stehen im Windkanal des Akshayuk Pass. Ringsum himmelhohe Wände mit puderzuckerbestäubten Simsen, durch die allerfeinste Kletterlinien in den grandiosen Granitwänden sichtbar werden. Wir sind dabei, als erste das spektakuläre Auyuittuq Gebirge mit Ski und Hundeschlitten zu durchqueren. Der Superlativ „erste“ ist eitler Tand – für uns zählt nur die Urnatur in einem der schönsten Gebirge der Erde.

Gewaltige Berge und „die höchsten Granitwände des Globus außerhalb des Karakorum“ warten auf Erstbesteiger und Erstbegeher. Nur das Zentrum um den Pangnirtung Pass ist wegen seiner relativ leichten Erreichbarkeit von Interesse für Kletterer aus aller Welt. Nördlich, den enormen Inlandeiskessel der Penny Icecap umrahmend, erstrecken sich über Hunderte Kilometer unbekannte, oft unbenannte Berge. Sie sind nur grob vermessen. Und am Beginn des North Pangnirtung Fjord steilen nicht so hohe aber feinste Granitwände. Sie sind vom Jägerdorf Broughton, was angeflogen kann, sommers wie winters gut erreichbar.

Das Jahrbuch BERG 2000 erzählt von einer 28-Seillängentour mit 1350 Metern Kletterlänge an der Walker Citadel. Mike Libecki und Gefährten klettern mit mehreren Portaledge-Biwaks The Mahayna Wall (VII, A4, 5.10).

Odyssee 2000 – Stefan Glowacz, Kurt Albert, Holger Heuber und Gerd Heidorn fahren mit Kajaks zu den endlegendsten Felsen auf Baffin Island und streiten sich mit Eisbären um Ihre mitgebrachte Nahrung.

Auch das Magazin Trekkers World berichtet von einer sehr fairen Expedition mit dem aussagefähigen Namen Odyssee 2000. Spanier eroberten in diesem Gebiet schon etwas früher die 600-Meter-Wand des Fin in sieben Tagen: die Route Nanuq (bedeutet „Eisbär“, richtiger wäre nanooq) bekommt die Schwierigkeit VI, 6a+, A3 zugesprochen. An dieser nördlichen Ostküste Baffins tummelte sich im Sommer 2000 ein (Polar-)Kletter-Team der Weltspitzenklasse. Wieder einmal sind Stefan Glowacz („Einer der besten Kletterer der Welt“), Gerd Heidorn („seine Passion sind die hohen Breiten“), Kurt Albert („zählt zu den erfolgreichsten Alpinisten der Welt“) und Allroundtalent Holger Neuber unterwegs. Das Besondere neben einer strengen Erstbegehung: Sie paddelten von der Inuit-Siedlung Clyde River mit Seekajaks zu den Big Walls des Edlington- und Sam Fjord. So richtig „by fair means“, Entdeckerbergsteigen auf hohem Niveau - mit spannenden Kajakszenen und Eisbär-Kontakten. Das Ergebnis ist eine Route in bestem Granit im unteren neunten Schwierigkeitsgrad, an einem namenlosen, mehr als 1500 Meter hohen, bis dahin unbestiegenen Felspfeiler mit senkrechten und überhängenden Wandfluchten. Sie taufen, passend zu den Erlebnissen, den Berg Polar Bear Spire, Eisbär-Turm.

Polartrekking: Die Expedition des kleinen Mannes

Trekking in der relativ leicht erreichbaren Arktis ist so, als wenn man das erste Mal unterwegs ist. „Qaa qaqqanu kanna qisa“ bedeutet auf inuqtitut, der Sprache der Inuit: „Komm, wir gehen in die Berge“. Wohl dem abenteuerorientierten Bergsteiger, dem diese Aufforderung zuteil wird. Spricht sie eine Inuit-Schöne aus, so bedeutet dies Verfängliches: Sie möchte mit ihm Liebe machen. Dieser traditionelle Spruch erinnert daran, dass das Volk der „Eskimos“ noch vor wenigen Jahrzehnten, isoliert von der modernen Welt, seine eigenen Gesetze hatte. Man wollte bei der Liebe der Enge der Siedlungen entfliehen und in den Bergen die Freiheit zu zweit finden.

Trekking ist die Expedition des kleinen Mannes, formulierte Dr. Fritz März treffend. Die Arktis hat für jeden etwas parat, der bereit ist, sich aus eigener Kraft zu bewegen. Auf „Wegen“ ohne Farbklecksen, dorthin, wo niemand für einen gedacht hat und es kaum Rezeptbücher gibt. In der gewaltigen Urnatur ist der Mensch nur ein winziger Punkt. Die Attraktionen sind unberührte, unverdorbene Natur, grandiose Gipfel, Wildnis mit einer ganz besonderen Prägung. Die daraus resultierenden, vor allem psychischen Anforderungen sind beispielsweise mit einem der großen Nepaltrekkings schwer vergleichbar.

Baffin und Grönland präsentieren sich mit tausenden unbestiegener Berge. Land, das nie begangen wurde. Nordische Landschaft, weit, unberührt, einmalig. Mächtige Gebirge und tiefe Täler – gewaltig, rau, grandios, herausfordernd. Eineinhalb Kilometer hohe Felswände. Eisgipfel und Schneeberge. Eine Herausforderung für jeden phantasievollen und erfahrenen Bergfreund.

Der großartige Auyuittuq Park auf Baffin Island ist ein Beispiel. Er hat eine spektakuläre Berglandschaft, vor der selbst Patagoniens kühne Berge verblassen. Der 100 Kilometer lange Pangnirtung Pass – auf inuqtitut Akshayuk genannt – ist auch ein strammes Trekking- oder Skiziel. Das enge Tal wird von gewaltigen Bergformationen begrenzt, deren Granitwände zu den höchsten und fantastischsten der Erde gehören: Mt. Thor, Mt. Asgaard, Mt. Loki, Mt. Sigurd – das größte Granitgebirge des Globus nach dem Karakorum.

Uummannarssuaq ist unaussprechlich schön

Nunap isua, das „Ende des Landes“ an der Südspitze Grönlands, hat eine klare, wilde Natur. Die Berge erreichen mehr als 2000 Meter, setzen oft direkt am Meer an und bilden enorme Wände. Sie formen eine der großartigsten Landschaften der Erde. Mit zum Schönsten gehört der Ketilsfjord, auch Tasermiut genannt. Tief schlängelt er sich ins Landesinnere – ein starkes Stück Wildnis. Stefan Glowacz, Kurt Albert, „Pater“ Martin Götz und Gefährten kletterten 1994 am gewaltigen Turm des Ulamertorssuaq die 1000-Meter-Route Moby Dick in kompaktem, bestem Granit. Sie ist inzwischen fast ein Klassiker.

Im Juli 2000 arbeitet ein kleines Team – Ian Parnell, Matt Dickson, Gareth Parry, Mathew Bransby und Sandy Ogilve – an der fast 1500 Meter hohen und 33 Seillängen langen Nordseite des Devil's Thumbnail erfolgreich und biwakierte in Portaledges. Die senkrechte Granitwand über dem Tasermiut-Fjord, „eine beeindruckende Landschaft, die fast sprachlos macht“, wurde mit dem Schwierigkeitsgrad E6 6b bewertet. Mathew Bransby stürzte dabei tödlich ab.

Auf dem Weg zu den unbestiegenen Gipfeln und unberührten Wänden des nahen Uummannarssuaq trafen wir Stefan am Flughafen von Narsarsuaq. Er berichtete begeistert, dass das Team den oberen neunten Grad nach Grönland übertrug.

Einen Sommer später wurde die Route War and Poetry, eine 31-Seillängen-Route im Schwierigkeitsgrad 5.12c, eröffnet.

Uummanarssuaq ist bergsteigerisch wenig besucht. Grat reiht sich an Grat, Wand an Wand, Zinne an Zinne, Pfeiler an Pfeiler. Um die Südspitze Grönlands, das Kap Farvel, steilt sich ein Eldorado mit Hunderten unbestiegenen Hinkelsteinen.

Die Einfahrt mit der Tulut, einem alten Fischtrawler, in den Torssukataq Fjord entspricht meinen Erinnerungen. Die Freunde, die ich für diese Idee gewann, bestaunen das Wunder: „Phantastisch… unglaublich… Spitze…“ Wir empfinden wie Bergsteiger vor 200 Jahren, als diese das Mont Blanc-Massiv erkundeten. Der steile Fjord mit den beeindruckenden Fluchten, den Eisbergen und den Granitpfeilern sucht auf der Welt seinesgleichen. Es wird eine Fahrt durchs Gebirge, vorbei an „Guglias, Drus, Cerro Torres…“ Himmelhohe Wände, Pfeiler und Grate setzen unmittelbar am Eismeer an. Die Jubiläums-Expedition der DAV-Sektion Bayerland bringt sieben Erstbegehungen und mehrere Erstbesteigungen mit nach Hause: Genussklettereien im vierten Grad an sieben- bis achthundert Meter hohen „Badile-Nordkanten“ ebenso wie an „Bonatti-Pfeilern“ im siebten Grad. Ein fast unerschöpfliches alpines Reservoir nahe des leicht erreichbaren Dorfes Augpilagtoq.

„Bayerländer“ Tomas „Tom“ Tivadar ist Sektionskamerad und ein besonders ehrgeiziges und kompetentes Exemplar der Spezies Leistungsbergsteiger. Wir diskutierten im Frühjahr 2001 das Ziel für seine nächste Big-Wall-Expedition: Arktis bevorzugt. Sein spontaner Entschluss: „Südgrönland! Das ist ja unglaublich, was da an unbegangenen Wänden und unbestiegenen Bergen herumsteht.“ Tom wird mit seinen Freunden dort Big Walls angehen. Das Ergebnis steht zur Drucklegung dieses Aufsatzes noch nicht fest.

Grönlands Ostküste: Unbekannt, unbenannt, unvermessen, unbewohnt

1100 Kilometer sind es vom Kap Farvel bis zum Schweizer Land, den Bergen bei Tassilaq. Kaum ein Gipfel trägt einen Namen. Tunu, Rückseite des Landes, heißt der menschenleere Landstrich auf inuqtitut. Die Berge bieten auch schöne Skitouren. Kühne Gipfel und unbegangene Täler fordern Alpinisten und Trekker heraus.

Erst 1998 wurde die Region 130 Kilometer nordöstlich der Watkins Mountains von zwei britischen Gruppen erforscht. Sie bestiegen 28 Gipfel bis 2600 Meter Höhe mit mäßigen Schwierigkeiten erstmals. Andreas Dick in BERG 2000: „Es warten noch Hunderte unbekannter Berge bis 2800 Meter.“ Nördlich im Fraenkels Land auf 73° Nord finden sich steilere Berge, die technisch anspruchsvolle Routen erahnen lassen. Es gibt noch viele unbestiegene Berge. Auch in den nahen Lemon Mountains. Eine Gruppe um Phil Bartlett bestieg dort über 30 Gipfel erstmals. Sie kratzte nur an den Möglichkeiten.

Stefan Glowacz, Kurt Albert, „Pater“ Götz und Gefährten kletterten im Sommer 1997 an der zentralen Südwand des 2264 Meter hohen Tupilak ( richtiger wäre Tupilaq), wichen aber bei ihrem Freikletterversuch wegen der Schwierigkeiten und der Wandhöhe von 650 Metern auf den Südwestgrat aus. Drei Jahre später „packten“ Alex Fidi und Kameraden die Wand im Big Wall-Stil: sechzehn Seillängen, VII/A3. Es gelangen noch weitere sechs Erstbegehungen. Die Gegend ist mit dem nötigen Kleingeld mit Hubschrauber leicht erreichbar.

Zwischen dem Kap Farvel und Tassilaq reiht sich ein Berg an den anderen. Kaum ein Gipfel ist bestiegen, kaum einer trägt einen Namen. Im östlichen Süden die breite Wand des Apostolen Tommelfinger, der „Daumen des Apostel“. Von einigen Expeditionen berannt, satte 1500 Meter hoch und schwer.

In den Staunings Alpen kraxelte Sicherheitspapst Pit Schubert mit einer Herligkoffer-Expedition schon in den 60er Jahren erstmals auf bis dahin unbestiegene Gipfel. Die Alpen waren ihm zu eng geworden. Ostgrönland ist das klassische, relativ preiswerte Land für Expeditionen, die diesen Namen noch verdienen. Die Szenerie ist hochalpin.

Der unvergessene Toni Hiebeler schrieb Ende der 70er Jahre: „Nur wenige wissen, dass sich die Gebirgskette des 'Grünen Landes' […] an Ausdehnung und Länge sogar mit dem Himalaja messen kann, auch wenn es nicht einmal Viertausender zu erobern gilt […] Grönland ist ohne großen Expeditionskram für private Bergsteigergruppen erreichbar […] bis zu 2000 Meter hohe Wandabbrüche, bizarre Felsberge, die an die Aiguilles des Mont Blanc erinnern, Berge mit rassigen Eisflanken. Und vor allem ungezählte, vollkommen unberührte Berge, die nicht einmal einen Namen haben. Wer sich in vollkommener Abgeschiedenheit in die Goldene Zeit des Bergsteigens versetzen will, für den ist Grönland vielleicht das letzte wahre Paradies.“

Subantarktis: Zwischen den Bergen Patagoniens und Feuerlands

Seit Tagen sind Gerhard Miosga und ich mit unseren Klepper-Faltbooten in der südamerikanischen Magellanstraße unterwegs, befahren den berüchtigten Kanal, eingezwängt zwischen den Gipfeln des stürmischen Patagonien und des eiskühlen Feuerland. Erstmals paddeln Menschen durch die „gefährlichste Wasserstraße der Erde“ (britisches Seehandbuch) zwischen Chile und Argentinien.

Anfang Januar, während des antarktischen Sommers, starten wir an der Pazifikseite der Estrecho und folgen dem Weg, wo der portugiesische Entdecker Magellan in spanischem Auftrag vor einem halben Jahrtausend den Weg vom Atlantik zum Pazifik fand - und damit den Schlüssel für die Umrundung der Erde. Drei Wochen später hat die Zivilisation uns wieder. Es wird eine Fahrt auf den verwehten Spuren Magellans, durch eine überwältigende Bergwelt und eine unberührte Urnatur. Wir Bergsteiger sind fremdgegangen. Das Gebiet hat auf den Karten den magischen Stempel „Inexplorado“, unerforscht. Bei unserem nervigen Paddeltrip bestaunen wir Tag für Tag Berge, die auf der Karte nicht verzeichnet sind und deren Flanken unser Bergsteigerherz höher schlagen lassen.

Mit dem „Seven-plus-Seven-Summit“-Heroen Gerhard Schmatz teile ich das Zelt und habe auf einer einmonatigen Grönlanddurchquerung genügend Zeit zum Ratschen. Er hat die höchsten Berge aller Kontinente und der größten Inseln bestiegen und erzählt ebenso begeistert wie respektvoll von den Schwierigkeiten, aber auch den Schönheiten der subantarktischen Gletscherberge von Feuerland. Auf etwa der gleichen Breite wie Kap Hoorn gelegen ist „der Zeh Südamerikas“ in relativ laues subantarktisches Wasser getaucht.

Stephen Veanables berichtet in BERG 2001 („Ein Traumberg am Ende der Welt“) über eine dramatische Erstbesteigung des Westgipfels des Monte Sarmiento (2234m) auf Feuerland mit den Spitzenkletterern John Roskelley und Charlie Porter in der selten besuchten Darwin Kordillere. Die Städte Ushuaia und Punta Arenas sind nicht sehr weit weg, trotzdem sind sehr viele der Gipfel noch unberührt. Unzählige Wände warten in diesem sturmgebeutelten Gebirge auf eine Begehung.

Die patagonische West- und Südseite der Anden ist in Bergsteigerkreisen fast unentdeckt, kaum ein ernstzunehmender Berg ist bestiegen. Als wir bei einer neuen Kajaktour den logistisch leicht erreichbaren Ultima Esperanza Fjord nahe dem chilenischen Puerta Natales erkunden, paddeln wir unter grandiosen Wänden und Hängegletschern entlang, die das südliche patagonische Inlandeis abriegeln. Nie beklettert! Bestiegen?

Svalbard: Spitzbergens unbestiegene (Ski-)Berge

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Dieser einzigartige Archipel ist nicht allzu weit vom Nordpol entfernt. Gipfel und Gletscher formen eine Antarktis en miniature vor den Toren Europas. Der Golfstrom heizt die Eilande erstaunlich auf, das Klima ist viel wärmer, als der hohe Breitengrad vermuten lässt.

Svalbard, Kalte Küste, tauften Wikinger das Gebirge im Meer. Spitsbergen benannten es vor Jahrhunderten holländische Seefahrer. Beides sind treffende Namen. „Die Arktis ist die Zone der Welt, wo der Himmel die Erde berührt“ schrieb Christiane Ritter einfühlsam über das Bayern große Spitzbergen in ihrem Klassiker Eine Frau erlebt die Polarnacht. Weit über die Hälfte ist von Eis bedeckt. Der Mensch spielt in dieser Gebirgswelt nur eine untergeordnete Rolle. Die weiße Wildnis ist im Frühling besonders schön – ein Land mit Urgewalt. Gipfel mit einem Rundblick der Superlative über das Inlandeis und eine archaische Bergwelt von eiszeitlichem Format. Stille in Perfektion.

Das Gestein ist oft unzuverlässig, alt. Der Kletterer wird hier weniger Freude haben. Dafür ist Svalbard ein noch zu entdeckendes Idealziel für wildniserprobte Trekker, Schneeschuhgeher und Skibergsteiger, die eine gewichtige Pulka mit sich ziehen können. Noch warten viele Erstbesteigungen – sommers und vor allem winters. Ein Gewehr ist ein Muss auf jeder Tour. Der Bergsteiger teilt das Land mit 3000 Eisbären.

Der Luchsfuß bietet dem Bergsteiger Neues –– in milder und wilder Form

Lofoten – Amphibisches Gebirge in der Urform der Schöpfung. Michael Vogeley führte eine der ersten deutschen Trekkergruppen in die Gipfelwelt der nordnorwegischen Inselgruppe.

Die Lofoten vor der norwegischen Nordwestküste sind ein Cocktail aus Irland und Schottland, aufgefüllt mit Eismeer, dekoriert mit Dolomiten und Ägäis und durchgeschüttelt vom manchmal unberechenbarem Wetter oder im Sommer auch mediterranen Temperaturen. Wir treiben uns auf den fünf Hauptinseln herum und blicken von unseren erkletterten Gipfeln auf Eilande und tausende Schären, die den wilden Archipel bilden: eine 150 Kilometer lange ununterbrochene Gipfelkette von kaum beschreibbarer Schönheit. Ein Paradies aus Zinnen, Kämmen, Gletschern, Türmen und Wänden. Der höchste Berg, der Higravstinden, kulminiert mit aus alpenländischer Sicht schlappen 1563 Metern.

Ein wenig besuchtes Bergparadies auf den fünf Hauptinseln gilt es zu entdecken. Weit nördlich des Polarkreises genießen wir Berge, saftige Wiesen, staunen über die überwältigend bunte Flora und aalen uns auf kühnen Gipfeln in der Mitternachtssonne. Der Luchsfuß – so die wörtliche Übersetzung – ist ein Juwel arktischer Berge in mildester und wildester Form. Ungläubig messen wir satte 28° im Schatten. Fast immer ist T-Shirt-Wetter. Wir schwitzen 200 Kilometer nördlich des Polar Circle. Immer wieder erstaunt uns die hervorragende Felsqualität. Die Erklärung liegt in der langen Vergletscherung: Die Eiszeit hat die Erosion des Granits viele hunderttausend Jahre gestoppt.

Grellbunt leuchten die Häuser von Henningsvaer im Abendlicht, während der mächtige Berg Vagakallen fast tausend Meter über uns aufragt. Das Matterhorn der Lofoten bildet ein gewaltiges Amphitheater. Hier ist auch das – erschlossene – Kletterzentrum. Die Südlofoten tragen nadelspitzen Zinnen. In allen Richtungen der Windrose schneiden tiefe Fjorde ins Gebirge. Die kühnsten Berge stehen auf der Insel Moskenesöya.

Der erste Kletterführer von Ed Webster erschien schon vor einem Dutzend Jahren, die ersten Bohrhaken sind fixiert. Auch einige Skibergsteiger haben die einsamen Berge über der See im Frühjahr entdeckt. Aber es gibt noch sehr, sehr viel zu tun.

Auf langen Latten durch Grönland: Horizontaler Alpinismus in Perfektion

Zum zweiten Mal durchquere ich die größte Insel der Erde. Auf Schneeschuhen durch Grönland, wie Skipionier Nansen 1888 seine erste Überschreitung der Eiskappe und das gleichnamige Buch titulierte. Für uns ist das Inlandeis eine der großartigsten Skitouren, eine Herausforderung für leistungsfähige Langläufer und Skialpinisten. Die Ostküste wird auf dem „Normalweg“ zwischen Kangerlussuaq an der Westküste und Isortoq an der Ostküste nach mehr als 600 Kilometern und einem Anstieg auf 2550 Meter erreicht. Früher war das eine Expedition an der Grenze des Menschenmöglichen, heute ist es eine Genusstour für Klassebergsteiger. Moderne Zeiten auf der Eiskappe.

Eine Grönlanddurchquerung durch das große Schweigen ist ein elementares Erlebnis. Das Zauberwort heißt „Ski“. Der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten ist die Gerade, zwischen Apokalypse, Abenteuer und Naturtraum. Grönland ist ein wichtiger Part des New Playground of the World. Dr. Fritz März formuliert nach unserer ersten Überschreitung zum 100jährigen Jubiläum von Nansens epochaler Tat: „Sie tauschten die Vertikale der Berge mit der Horizontale des Eises“.

Wir rumpeln über eine flotte Eisglasur zu musigem Schlapperschnee. Dann berühren unsere Sohlen nach vier Wochen Steine. Land! Berge! Gewaltige primitive Formen von ungeheurer Frische. Wie bei Nansen: „Eine wahre Wonne durchrieselte uns, als wir mit unseren Füßen das Heidekraut berührten […] Hinter uns lag das Inlandeis.“ Hinter uns liegt eine Strecke so weit wie von München nach Köln, eine perfekte Skitour.

Davon gibt es über Grönlands Eiskappe unendlich viele: Quer und längs und diagonal…. Und immer unberührt.

In eisige Tiefen: Ein neuer Ast am Baum des Alpinismus

Inlandsis – in eisige Tiefen. Mit 12 französischen Alpinisten schafft Michael Vogeley den Tiefenrekord im grönländischen Eis.

Moulins, Gletschermühlen, werden Löcher im Eis genannt. Unsere Zelte flattern auf dem Grönländischen Inlandeis. Zaghaft wird das Eis im Sommer für drei Monate von den Strahlen der Sonne fast rund um die Uhr erwärmt und zum Schmelzen gebracht. Rinnsale, Bächlein, Flüsse und später Ströme entstehen und schlängeln sich viele Kilometer über das Eis, bevor sie sich vielleicht in eine Spalte stürzen. Das Gletscherwasser strudelt und höhlt den senkrechten Abgrund aus. Der Winter stoppt den Wasserfluss.

Wir folgen einem Flussbett bis zu seinem senkrechten Ende. Ein glitzerndes Tor öffnet sich. Das Eis an den Wänden ist wellenförmig ausgewaschen, wie die schönen Falten eines Gewandes – eine perfekte Architektur. Wir stehen am Eingang einer vor zwei, drei Jahren entstandenen Gletschermühle. Die erste Stufe ist leicht, am Seil hangeln wir uns an der Wand hinunter. Die zweite Passage ist ein senkrechter Acht-Meter-Eisfall über einem See. Die Steigeisen kratzen auf dem hartgefrorenen Schmelzwasserbelag. Der Abstieg in die Tiefe eines Gletschers ist mehr als ein alpines Abenteuer. Es ist eine Erkundung des Rohzustandes unserer Erde. Wir sind etwa 50 Meter tief eingedrungen und klettern wieder hinauf. Zurück bleibt der Eindruck einer unwirklichen Welt, die uns bislang verborgen blieb.

Zwei Tage später stehen wir über einem unterirdischen See und klettern an senkrechten Wänden mit Eisgeräten diffizil über der beängstigenden Wasseroberfläche. Wir tauchen ein in diesen Bauch aus Eis und werfen die Seile hinab in ein finsteres Loch, wo es nicht mehr weiterzugehen scheint. 73 Meter ist der Schacht tief. Das ist, als ob man in einem Kirchturm absteigt.

Wir üben eine neue, bisher nie erprobte alpinistische Form aus: Klettern im Eis. Mit dem sich entkrangelnden Seil drehe ich mich über dem Höhlenboden. Noch zehn Meter, noch fünf. Ich beende die längste Abseilfahrt meines Lebens zum tiefsten Punkt. 123 Meter: Tiefenweltrekord –– wie unwichtig auch immer das ist.

Der Weg hinauf ist lang und einsam und heikel. Wird sich der Gletscher bewegen und uns einschließen? Schweiß bricht trotz der Kälte aus. Irgendwann klettere ich schwitzend ans Tageslicht. Tief sind wir ins Grönlandeis hinabgestiegen und haben eine neuen Zweig am weit verzweigten Baum des Alpinismus zum Sprießen gebracht.

Seit einem Jahrzehnt erforscht man die Eishöhlen Grönlands. Die Antarktis wartet noch auf die ersten Kletterer im Gletschereis.

North West Territories: Menschenleeres Land für Entdecker

Solo zum Magnetischen Nordpol: Den 120-Kilo-Schlitten über gefrorenes Meer ziehen, einen Monat isoliert sein. Der Magnetpol liegt abseits der geographischen 90 Grad und wandert jährlich um etwa 15 Kilometer nach Norden. Eine Skitour der Spitzenklasse – von Resolute Bay, einer kleinen Siedlung im äußersten Norden Kanadas, ungefähr bis zur unbewohnten, eingefrorenen Insel King Christian Island.

„Innurtuaq“, sagt der inuq in Resolute gleichgültig. Das bedeutet „allein“. Was für mich eine große Herausforderung ist, lässt ihn, den „Eskimo“, kalt. Welch ein Unsinn, nach Norden zu ziehen. Dorthin, wo es nichts zu jagen gibt.

Wie ein Vorhang hebt sich am späten Vormittag der Nebel. Das wird ein Arktistag wie aus dem Bilderbuch. Schlagartig zeigt das Thermometer am Schlitten nur noch minus 28° an. 400 Kilometer sind es über gefrostetes Meer zu dem Punkt, von dem die Kompassnadel angezogen wird. Vorbei an großen Inseln mit sanften, tief verschneiten Hügeln – einer Landschaft, wie der obere Teil der tiefwinterlichen Kitzbüheler Alpen. Wurde einer der Berge je bestiegen? Vielleicht stand im Sommer ein inuq auf der Jagd nach Karibous auf einem der Gipfel. Im Winter war bisher niemand droben. Wer kennt in den Northwest Territories schon einen Ski?

Hunderte Kilometer Gipfel, verschneit, perfektes Skigelände. Sie fordern die Phantasie heraus. Nicht unbedingt die schnelle Abfahrt ist es, die Tourengeher anzieht. Es sind die relativ leichten tausend und mehr Berge. Ein ideales Skitourenziel abenteuerlustiger Entdeckertypen - für das Frühjahr und den Sommer.

South Georgia Island: Grandiose Berge vor dem antarktischen Kontinent

Auf der Suche nach Shackletons Spuren in der Antarktis. Nicht nur für Sir Ernest Shackleton war es ein letzter Zufluchtsort, sondern es ist einer der Letzten für abertausende von Pinguinen, Meeresvögeln und Robben aller Art.

Südgeorgien ist ein winziger Inselarchipel in den Weiten der südpolaren See. 2000 Kilometer östlich von Kap Hoorn steilen aus dem unendlichen Südpazifik mächtige, vergletscherte Berge. Der höchste Berg, Mt. Paget, ist 2934 m hoch, mehr als die Hälfte der Insel ist von Gletschern bedeckt. Es ist die höchste, gebirgigste und zweitgrößte Insel der Antarktis.

Paradies ist kein Klischee, sondern eine realistische Zustandsbeschreibung der Insel im Südpolarmeer: ein einmaliges Tierparadies, ein antarktischer Garten Eden, Brehms Tierleben life. Mit allen bekannten Pinguinarten, riesigen Albatrossen, fetten Robben, tonnenschweren Lobos, exotischen Rentieren und buckelnden Walen. Das Gebirge im Meer wird nur von wenigen Schiffen pro Jahr angelaufen. Sie sind die einzige Verbindung zur Außenwelt.

Eisgepanzert sind die zugspitzhohen Gipfel im Ozean. Faszinierend ist die 170 Kilometer lange und 30 Kilometer breite Insel wegen ihrer mächtigen Berge und der Trekkingmöglichkeiten. An unerstiegenen Bergen, an nie berührten Wänden aus Fels und Eis herrscht Überfluss. Der fast 3000 Meter hohe zweithöchste Berg der Insel, der Sugar Toppen, ist von Eis bedeckt. Mit Alpin-Redakteur Clemens Kratzer wandere ich am Strand, und wir diskutieren einen Vergleich: Man steht am Eibsee und schaut zu den gewaltigen Abbrüchen der Zugspitze hinauf, und es biegt einem den Kopf in den Nacken. Und dann muss man nochmals 800 Höhenmeter drauf legen, um die Gebirgssituation von South Georgia zu verstehen!

Nordpol und Südpol: Über den Tanzboden des Teufels zu den Endpunkten

Wir sind den zehnten Tag auf schwankendem Boden zum Nordpol unterwegs. Seit Stunden spuren wir durch die zu Eis erstarrten Wogen der Polarsee. Es ist die besondere Gipfeltour zum „höchsten“ Punkt des Globus auf 90° Nord. Wir zerren unsere Pulkas über das zerrissene Packeis. Zwischen Eistürmen hacken wir eine ruppige Rinne. Es ist ein „Labyrinth des gefrorenen Irrsinns“ (Freddy Langer). Werden wir den greifbar nahen magischen Punkt auf trügerischem Eis je erreichen?

Waagrechter Alpinismus. Wir sind die „Eroberer des Unnützen“ (Lionel Terray) in Perfektion. Für Bergsteiger ist es ein verwegener Gedanke, auf Treibeis zu touren und nicht auf einem Gletscher. Wir stehen mit beiden Beinen fest auf dem Boden – und der ist nur drei Meter dick und will unbedingt nach Südwesten. Der dünne Eisdeckel schwimmt auf vier Kilometer tiefem Meerwasser über dem Grund des Polarbeckens.

Irgendwann sind wir nur noch ein paar Kilometer vom Ziel entfernt. Das Gelände ist katastrophal und erinnert an die Charakterisierung des Polarforschers Roald Amundsen: „Das hier ist der Tanzboden des Teufels.“ Der „Gipfel“ unserer Phantasie ist nicht exakt greifbar und auf einige Meter nicht bestimmbar. 90° kann das GPS nicht anzeigen. Ich verkünde final: „Wir sind da!“ Ins Tagebuch tragen wir ein: 89 Grad, 59 Minuten, 31 Sekunden, 28. April, 18.52 Uhr. Es war eine spannende Skitour und eine ordentliche alpinistische Leistung.

Man kann den Nordpol mit einem Champagnerdinner auf einem Eisbrecher verbinden. Heute zählt nicht mehr, ob man den Pol erreicht – nur wie. Wer der erste aus eigener Kraft, also mit Ski und selbstgezogenem Schlitten war, ist ungeklärt. Wahrscheinlich war der erste Deutsche „by fair means“ Arved Fuchs mit der internationalen Expedition Icewalk von Kanada aus am 14. Mai 1989. Die 1. Deutsche Nordpol-Ski-Expedition, organisiert vom DAV Summit Club, erreicht via Sibirien von der russischen Station Borneo 1998 den Endpunkt. Ich freue mich, dass die erfahrenen Russen Victor Boyarski und Victor Serov ihre große Erfahrung im Eis einbringen. Wir realisieren den perfekten Traum einer Skitour, die immer neu geformt wird. Nirgends passt der weise Satz Laotses besser, als bei einer Nordpol-Expedition aus eigener Kraft: Der Weg ist das Ziel.

Entdecker sein – die schönste Sache der Welt

Der immer jungfräuliche Nordpol, die gewaltige, zwei Monate lange Expedition zum Südpol, zum wandernden Magnetischen Nordpol, über die Eiskappe Grönlands, die Durchquerung von Baffin Island oder die noch anstehende komplette Nord-Süd-Überschreitung der zwei patagonischen Inlandeisfelder … Es sind die großen, die ganz großen Skitouren des Globus. Reinhold Messner outet sich: „Meine Zukunft liegt im Eiswandern“. Er meint die Polargebiete.

Auch Alaskas Berge warten, nicht so viele sind bestiegen. Haben Sie schon einmal vom Cirque of the Unclimbables gehört, einer fantastischen Granitturm-Arena? Einige Hundert Alpinisten pro Jahr rennen gegen den Mount McKinley an. Nicht weit davon stehen unbestiegene Gipfel mit unzähligen unbegangenen Wänden und Flanken. Wo endet die Phantasie?

Die Möglichkeiten in den fast unbekannten Gebirgen Sibiriens sind nur zu ahnen. Noch gibt es wenige Informationen, und die bürokratischen Hindernisse verhindern den Appetit. Das könnte sich in den nächsten Jahren ändern – die Endphasen von Glasnost und Perestroika sind zu ahnen.

Es gibt kein Neuland, nur Träume danach. Diese Weisheit kommt vom grönlanderfahrenen Franz-Leander Neubauer – und sie hat mich in ihrer Klarheit und Einfachheit beeindruckt. Polare Regionen machen neugierig. Und sie werden immer leichter erreichbar – für Bergsteiger und Trekker jeder Leistungsfähigkeit.

Interessant ist das Credo der britischen Kletterlegende Chris Bonington, geadelt wegen seiner wüsten Touren und seiner Vorliebe für die Berge der Welt, die großen Gipfel des Himalaja und seine Expeditionen in die Arktis und Antarktis. Der graubärtige Mittsechziger antwortet auf meine Frage, welche Rolle die Polargebiete für die Zukunft des Alpinismus haben und ob „…dort der New Playground of the World liegt?“

„Ich würde sagen halbe-halbe.… Es ist auch noch eine Menge im Himalaja zu tun.“

„Begib dich einmal im Jahr an einen Ort, an dem du noch nicht gewesen bist“, ist die Botschaft des Dalai Lama. In den Polargebieten muss man danach nicht suchen. Man braucht gesunde Neugier, Entdeckerfreude, Mut, alpine Kompetenz und Wildniserfahrung. Oder einen kompetenten Begleiter. Und manchmal auch einen größeren Geldbeutel.

Um die unglaublichen bergsteigerischen Möglichkeiten der Polargebiete wissen nicht viele. Zumindest die Zukunft des Entdecker- und Abenteuerbergsteigens liegt im Norden und Süden des Globus. Die Kanadier haben einen Aphorismus: Wer einmal da „oben“ (oder da „unten“) war, ist arctic bitten, „gebissen“ von der Arktis, angefressen von dieser großartigen Natur.

Wir müssen mit dieser Arena der Einsamkeit sorgfältig umgehen. „Hinterlasse nicht mehr als deine eigenen Fußspuren“ ist ein wohlmeinender Ratschlag. Manchmal sind sogar diese zu viel. Es gilt sie respektvoll und sensibel zu erkunden – die unzähligen, unbenannten, unbekannten und unberührten Berge, Gebirge, Wände, Skitouren und Trekkingmöglichkeiten der Arktis und Antarktis –im New Playground of the World.

Das bayerische Bier scheint dem Sir zu schmecken. Halbe-halbe? Man sollte bei einer illustren Person tiefer gehen.
„Bist du der Meinung, dass die Gebirge der Welt ausverkauft sind? Welche Botschaft hast du für die jungen Bergsteiger?“
„Es ist genug da für mehrere Generationen. Man muss nur suchen. Es schafft so viel Befriedigung, neue Wege zu klettern. Auch eine neue, leichte Route ist hochbefriedigend. Entdecker zu sein ist die schönste Sache der Welt.“
Sagt er, der „Sir“ in Sachen Bergsteigen. Wir lassen das letzte Bier dieses Abends zapfen.

© 2001, AlpOnline


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